Universität Hohenheim
 

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Fulda, Stefanie

VERZERRT. SCHRILL. GESPALTEN. Meinungsklima und Diskursqualität im Internet und ihre Wirkungen auf den Journalismus

DISTORTED. SHRILL. DIVIDED. Climate of opinion and discourse quality on the Internet and their effects on journalism

Bitte beziehen Sie sich beim Zitieren dieses Dokumentes immer auf folgende
URN: urn:nbn:de:bsz:100-opus-20360
URL: http://opus.uni-hohenheim.de/volltexte/2022/2036/


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SWD-Schlagwörter: Öffentliche Meinung , Wahrnehmung , Medienwirkungsforschung , Journalismus , Internet , Soziale Medien
Freie Schlagwörter (Deutsch): Öffentliche Meinung , Meinungsklima , Diskursqualität , Wahrnehmung , Medienwirkungen , Journalismus , Internet , Soziale Medien
Freie Schlagwörter (Englisch): Public opinion , climate of opinion , discourse quality , perception , media effects , journalism , internet , social media
Institut: Institut für Kommunikationswissenschaft
Fakultät: Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
DDC-Sachgruppe: Nachrichtenmedien, Journalismus, Verlagswesen
Dokumentart: Dissertation
Hauptberichter: Schweiger, Wolfgang Prof. Dr.
Sprache: Deutsch
Tag der mündlichen Prüfung: 23.02.2022
Erstellungsjahr: 2022
Publikationsdatum: 03.06.2022
 
Lizenz: Hohenheimer Lizenzvertrag Veröffentlichungsvertrag mit der Universitätsbibliothek Hohenheim
 
Kurzfassung auf Deutsch: Journalisten übernehmen bei der Herausbildung des gesamtgesellschaftlichen Meinungsklimas eine zweifache Funktion. Einerseits haben sie durch ihre Veröffentlichungen Anteil an der Bildung des Meinungsklimas. Gleichzeitig beobachten sie selbst kontinuierlich das öffentliche Meinungsbild und orientieren sich daran. Dass die Art, wie Journalisten die Welt wahrnehmen, auch ihre Arbeit beeinflussen kann, liegt auf der Hand. Tatsächlich wurde es in Bezug auf das wahrgenommene Meinungsklima noch nicht untersucht. Ähnlich verhält es sich mit der wahrgenommenen digitalen Debattenkultur. Qualität, Ton und Inhalt von Online-Diskursen werden bereits vielfach unter Stichworten wie Incivility und Hate Speech behandelt. Dabei werden auch Wirkungen auf den Journalismus thematisiert, aber nicht danach gefragt, wie die kombinierte Wahrnehmung von Meinungsklima und Diskursqualität bei Journalisten erfolgt und wie sich dies auf ihre Arbeit auswirkt. Tatsächlich sind bei dieser Wahrnehmung insbesondere Nutzerkommentare, individuelle Meinungen und Meinungsführer für Journalisten von besonderer Bedeutung.
Aufgrund des noch lückenhaften Forschungsstands zu den Wirkungen von Meinungsklima und Diskursqualität auf den Journalismus wurden daher qualitative, leitfadengestützte Interviews zur Fragestellung „Wie nehmen Journalisten Meinungsklima und Diskursqualität im Internet wahr und wie wirkt sich dies auf ihre Arbeit aus?“ angelegt, um sich explorativ den möglichen Ausprägungen dieses Themas zu nähern. Für diese Interviews mit einer Dauer von 1 – 1,5 Stunden wurden 20 Journalisten aus ganz Deutschland befragt. Die Netto-Stichprobe der teilnehmenden Journalisten unterschied sich nach Ressort, Art der Anstellung, Alter, Ort, Geschlecht, Themengebieten und Positionsgrad. Zusätzlich wurde eine eigene Website als zentrale Informationsstelle zum Projektvorhaben angelegt.
Mithilfe eines sich wiederholenden Perspektivenwechsels in der Befragung, der die Vorgehensweise und Überlegungen der Befragten thematisiert, aber immer auch abfragt, wie aus Sicht der Befragten andere Journalisten mit der gleichen Fragestellung umgehen, war es möglich, einige verdeckte Wahrnehmungseffekte zu identifizieren. Beginnend mit der Frage nach den zentralen Quellen der Meinungsklimawahrnehmung, über die Verarbeitung und den dabei auftretenden Wirkmechanismen bis hin zu den erkennbaren Wirkungen auf die journalistische Arbeit konnte damit der Weg der Wahrnehmung von Meinungsklima und Diskursqualität bis zu den Wirkungen auf die journalistische Themenselektion und Themenverarbeitung nachvollzogen werden.
Wesentliches Ergebnis der Befragung ist, dass es für die Gesamtheit der befragten Journalisten unklar bleibt, ob das wahrgenommene Meinungsklima im Internet repräsentativ für die gesamte Gesellschaft ist. Dabei ist rational durchaus vielen Journalisten klar, dass sie nicht allzu beeindruckt von den Erfahrungen im Netz sein sollten, da diese nur einen kleinen Ausschnitt der Gesellschaft repräsentieren, emotional geschieht es dann möglicherweise doch – weil die Qualität des erlebten, digitalen Diskurses so beeindruckend ist. Zum anderen gehen nahezu alle befragten Journalisten davon aus, dass das wahrgenommene Meinungsklima die journalistische Arbeit beeinflusst, zeigen jedoch Unklarheit darüber, inwiefern sie persönlich davon betroffen sind. Die konkreten Wirkungen kennen sie nicht. Und schließlich wird deutlich, dass sich Journalisten bei der Wahrnehmung der öffentlichen Meinung ganz wesentlich auf die wahrgenommene Qualität des Diskurses stützen. Ein nachvollziehbares Vorgehen, was allerdings die Gefahr von Fehleinschätzungen birgt.
Dies hat Konsequenzen: Wenn diejenigen, die über das gesellschaftliche Meinungsklima berichten, einer verzerrten Wahrnehmung unterliegen, dann bringen sie diese womöglich in ihre Berichterstattung ein, was die Tendenz verstärkt, dass auch Rezipienten Wahrnehmungsverzerrungen des Meinungsklimas erleben. Bürger äußern sich wiederum in den sozialen Medien oder unterhalb von journalistischen Beiträgen in den Kommentaren. Diese werden von den Redaktionen gelesen und ihrerseits für die journalistische Berichterstattung genutzt. Hier schließt sich der Kreis, denn so beeinflussen sich Rezipienten und Journalisten gegenseitig in ihrer verzerrten Wahrnehmung und ziehen daraus Rückschlüsse auf die öffentliche Meinung in der Gesellschaft. Minderheitenmeinungen werden als Mehrheitsmeinungen wahrgenommen, der emotional aufgeheizte Diskurs in Internet prägt den Eindruck einer wachsenden Polarisierung der Gesellschaft und der Journalismus trägt diesen Gedanken in die Berichterstattung. Die Folge ist eine mögliche Missinterpretation öffentlicher Meinung durch die journalistischen Medien, so dass der Journalismus Gefahr läuft, durch eine verzerrte Wahrnehmung von Meinungsklima und Diskursqualität im Internet an der tatsächlichen öffentlichen Meinung der Gesellschaft vorbei zu argumentieren.
 
Kurzfassung auf Englisch: Journalists play a dual role in shaping public opinion. On one hand, they influence public opinion through their publications. At the same time, they themselves continuously monitor public opinion and orient themselves to it. It seems obvious that the way journalists perceive the world can also influence their work. In fact, it has not yet been studied in terms of the perceived climate of opinion. It is similar with the perceived digital debate culture. Quality, tone and content of online discourses are already widely addressed under keywords such as incivility and hate speech. Effects on journalism are also mentioned, but they don´t focus on how journalists perceive the combined climate of opinion and quality of discourse and how this affects their work. In fact, user comments, individual opinions and opinion leaders are of particular importance to journalists in this perception.
Due to the still incomplete state of research on the perception effects of public opinion and discourse quality on journalism, qualitative, guideline-supported interviews were therefore set up on the question "How do journalists perceive opinion climate and discourse quality on the Internet and how does this affect their work?" in order to approach the possible manifestations of this topic in an explorative manner. For these interviews, which lasted 1 - 1.5 hours, 20 journalists from all over Germany were interviewed. The net sample of participating journalists differed according to department, type of employment, age, location, gender, subject areas and degree of position, with the aim of obtaining answers from as many different journalists as possible and being able to compare the answers of certain groups with each other. In addition, a website was created as a central information point for the project.
With the help of a repetitive change of perspective in the survey, which addresses the approach and considerations of the interviewees, but also inquires how, from the interviewees point of view, other journalists deal with the same issue, it was possible to identify some hidden perceptual effects. Beginning with the question about the central sources of public opinion perception, via processing and the mechanisms in this process, to the recognizable effects on journalistic work, it was thus possible to trace the path of perception of opinion climate and discourse quality to the effects on journalistic topic selection and topic processing.
A key finding of the survey is that it remains unclear to the group of journalists surveyed whether the perceived climate of opinion on the Internet is representative of society as a whole - many do not rule out parallels of digital and general public opinion. At the same time, it is rationally clear to many journalists that they should not be too impressed by the experiences on the Net, since these represent only a small section of society, but emotionally it does happen - because the quality of the experienced, digital discourse is so impressive. On the other hand, almost all of the journalists surveyed assume that the perceived climate of opinion influences their journalistic work, but show a lack of clarity about the extent to which they are personally affected by this in their work. They do not know the concrete effects. Finally, it became obvious that journalists base their perception of public opinion quite significantly on the perceived quality of discourse. This is an understandable approach, but one that harbors the risk of misperceptions due to third person, negativity or false uniqueness effects, to name just a few of the most important potential distortions of perception.
This has consequences: If those who report on public opinion are subject to a distorted perception, then they bring this into their reporting, which reinforces the tendency for recipients to also be subject to a distorted perception of public opinion. Citizens, in turn, express themselves in social media or below journalistic articles in the comments. These are read by editorial teams and in turn used for journalistic reporting. This is where the circle closes, because this is how recipients and journalists influence each others distorted perceptions and draw conclusions about public opinion in society. Minority opinions are perceived as majority opinions, the emotionally heated discourse on the Internet shapes the impression of a growing polarization of society, and journalism carries this idea into its reporting. The consequence is a possible misinterpretation of public opinion by journalistic media, so that journalism runs the risk of arguing past the actual public opinion of society through a distorted perception of public opinion and discourse quality on the Internet.

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