TY - THES T1 - VERZERRT. SCHRILL. GESPALTEN. Meinungsklima und Diskursqualität im Internet und ihre Wirkungen auf den Journalismus A1 - Fulda,Stefanie Y1 - 2022/06/03 N2 - Journalisten übernehmen bei der Herausbildung des gesamtgesellschaftlichen Meinungsklimas eine zweifache Funktion. Einerseits haben sie durch ihre Veröffentlichungen Anteil an der Bildung des Meinungsklimas. Gleichzeitig beobachten sie selbst kontinuierlich das öffentliche Meinungsbild und orientieren sich daran. Dass die Art, wie Journalisten die Welt wahrnehmen, auch ihre Arbeit beeinflussen kann, liegt auf der Hand. Tatsächlich wurde es in Bezug auf das wahrgenommene Meinungsklima noch nicht untersucht. Ähnlich verhält es sich mit der wahrgenommenen digitalen Debattenkultur. Qualität, Ton und Inhalt von Online-Diskursen werden bereits vielfach unter Stichworten wie Incivility und Hate Speech behandelt. Dabei werden auch Wirkungen auf den Journalismus thematisiert, aber nicht danach gefragt, wie die kombinierte Wahrnehmung von Meinungsklima und Diskursqualität bei Journalisten erfolgt und wie sich dies auf ihre Arbeit auswirkt. Tatsächlich sind bei dieser Wahrnehmung insbesondere Nutzerkommentare, individuelle Meinungen und Meinungsführer für Journalisten von besonderer Bedeutung. Aufgrund des noch lückenhaften Forschungsstands zu den Wirkungen von Meinungsklima und Diskursqualität auf den Journalismus wurden daher qualitative, leitfadengestützte Interviews zur Fragestellung „Wie nehmen Journalisten Meinungsklima und Diskursqualität im Internet wahr und wie wirkt sich dies auf ihre Arbeit aus?“ angelegt, um sich explorativ den möglichen Ausprägungen dieses Themas zu nähern. Für diese Interviews mit einer Dauer von 1 – 1,5 Stunden wurden 20 Journalisten aus ganz Deutschland befragt. Die Netto-Stichprobe der teilnehmenden Journalisten unterschied sich nach Ressort, Art der Anstellung, Alter, Ort, Geschlecht, Themengebieten und Positionsgrad. Zusätzlich wurde eine eigene Website als zentrale Informationsstelle zum Projektvorhaben angelegt. Mithilfe eines sich wiederholenden Perspektivenwechsels in der Befragung, der die Vorgehensweise und Überlegungen der Befragten thematisiert, aber immer auch abfragt, wie aus Sicht der Befragten andere Journalisten mit der gleichen Fragestellung umgehen, war es möglich, einige verdeckte Wahrnehmungseffekte zu identifizieren. Beginnend mit der Frage nach den zentralen Quellen der Meinungsklimawahrnehmung, über die Verarbeitung und den dabei auftretenden Wirkmechanismen bis hin zu den erkennbaren Wirkungen auf die journalistische Arbeit konnte damit der Weg der Wahrnehmung von Meinungsklima und Diskursqualität bis zu den Wirkungen auf die journalistische Themenselektion und Themenverarbeitung nachvollzogen werden. Wesentliches Ergebnis der Befragung ist, dass es für die Gesamtheit der befragten Journalisten unklar bleibt, ob das wahrgenommene Meinungsklima im Internet repräsentativ für die gesamte Gesellschaft ist. Dabei ist rational durchaus vielen Journalisten klar, dass sie nicht allzu beeindruckt von den Erfahrungen im Netz sein sollten, da diese nur einen kleinen Ausschnitt der Gesellschaft repräsentieren, emotional geschieht es dann möglicherweise doch – weil die Qualität des erlebten, digitalen Diskurses so beeindruckend ist. Zum anderen gehen nahezu alle befragten Journalisten davon aus, dass das wahrgenommene Meinungsklima die journalistische Arbeit beeinflusst, zeigen jedoch Unklarheit darüber, inwiefern sie persönlich davon betroffen sind. Die konkreten Wirkungen kennen sie nicht. Und schließlich wird deutlich, dass sich Journalisten bei der Wahrnehmung der öffentlichen Meinung ganz wesentlich auf die wahrgenommene Qualität des Diskurses stützen. Ein nachvollziehbares Vorgehen, was allerdings die Gefahr von Fehleinschätzungen birgt. Dies hat Konsequenzen: Wenn diejenigen, die über das gesellschaftliche Meinungsklima berichten, einer verzerrten Wahrnehmung unterliegen, dann bringen sie diese womöglich in ihre Berichterstattung ein, was die Tendenz verstärkt, dass auch Rezipienten Wahrnehmungsverzerrungen des Meinungsklimas erleben. Bürger äußern sich wiederum in den sozialen Medien oder unterhalb von journalistischen Beiträgen in den Kommentaren. Diese werden von den Redaktionen gelesen und ihrerseits für die journalistische Berichterstattung genutzt. Hier schließt sich der Kreis, denn so beeinflussen sich Rezipienten und Journalisten gegenseitig in ihrer verzerrten Wahrnehmung und ziehen daraus Rückschlüsse auf die öffentliche Meinung in der Gesellschaft. Minderheitenmeinungen werden als Mehrheitsmeinungen wahrgenommen, der emotional aufgeheizte Diskurs in Internet prägt den Eindruck einer wachsenden Polarisierung der Gesellschaft und der Journalismus trägt diesen Gedanken in die Berichterstattung. Die Folge ist eine mögliche Missinterpretation öffentlicher Meinung durch die journalistischen Medien, so dass der Journalismus Gefahr läuft, durch eine verzerrte Wahrnehmung von Meinungsklima und Diskursqualität im Internet an der tatsächlichen öffentlichen Meinung der Gesellschaft vorbei zu argumentieren. KW - Öffentliche Meinung KW - Wahrnehmung KW - Medienwirkungsforschung KW - Journalismus KW - Internet KW - Soziale Medien KW - Internet KW - Soziale Medien CY - Hohenheim PB - Kommunikations-, Informations- und Medienzentrum der Universität Hohenheim AD - Garbenstr. 15, 70593 Stuttgart UR - http://opus.uni-hohenheim.de/volltexte/2022/2036 ER -